Union testet heute gegen Empor im „Cantianstadion“. Als einer unter 400 Zuschauern habe ich mich am Spielfeldrand eingefunden, den noch recht jungen Tabellenführer im Prenzlauer Berg willkommen zu heißen. Das Spiel beginnt sehr frisch, und nach 8 Minuten führt der Gast bereits mit 0:2. Aber gedanklich bin ich nicht wirklich bei der Sache, immer wieder zieht es mich in die Erinnerung.

Es ist ein sonniger Junisamstag Mitte der 80er Jahre. Ich stehe in einer großen Traube grölender Fußballfans, und kralle mich mit meinen Teenagerhänden an einem weinrot-weißen Fußballnicki fest, das Frank Terletzki persönlich getragen, und aus dem zweiten Stock des Kabinengebäudes des Jahnsportparks in den tobenden Mob fallen ließ. Der BFC Dynamo ist gerade wieder Meister der DDR-Oberliga geworden. Ich versuche nun mit Leibeskräften diese verschwitzte Fußballdevotionalie in meinen Fingern dauerhaft an mich zu reißen. Allerdings klammern sich noch weitere, fremde Hände in das Shirt, und dieses Zerren und Zotteln um den Stoff, aus dem meine Träume sind, hat bald ein jähes Ende, an dem ich ohne etwas in meinen Händen zurück aufs Dorf fahren werde. Aber, ich habe meine Mannschaft im Jahnsportpark siegen sehen. Das reichte als Trost allemal.



Auch wenn es meinem Bruder als UNION-Fan sicher gegen den Strich ging – als Heranwachsender hielt ich es eben mit starken, scheinbar allmächtigen, immer siegenden Idolen. Ich hatte zwar verstanden, das man schon damals etwas gegen Bullen in der Liga hatte, was das aber inhaltlich geschweige politisch bedeutete, dafür reichte mein Teenagerhorizont nicht aus, das zu überblicken.

Als ich Anfang der 90er Jahre nach Berlin umsiedelte, zog ich in die Gaudystraße, nur durch einen Zaun vom Jahnsportpark getrennt. In manch schlafloser Nacht enterte ich die Absperrung, und drehte auf der damals noch wirklichen Aschebahn einsame Runden bis die Müdigkeit einsetzte. Heute liegt hier eine dieser üblichen Tartanbahnen, und auf dem Rasen im Inneren des Braunen Kunststoffovals führt Union derweil mit 0:5. 


Eben dieser Rasen, überhaupt das ganze Gelände des Jahnsportparkes und unser halber angrenzender Kiez mit dazu, war am Morgen des 5. September 1992 mit unzählbaren Massen an Pappbechern und allem anderen möglichen Müll übersät. Michael Jackson, der Große King of Pop, hatte am Abend zuvor das Sportgelände gerockt – oder gepopt? Na jedenfalls hatte er uns seine Aufwartung gemacht, und die Musik dröhnte aus dem Stadion bis in den Hinterhof der Gaudystraße 11.

Sicher schallte die Jacksonmukke noch viel weiter durch die Straßenschluchten, schließlich vernahm ich am 8.3.2009 das „Scheiß DYYYNAAAAMOOOOO“ vor dem Auswärtsheimspiel gegen Dresden bereits in Pankow. Ich wohnte seiner Zeit schon etwas weiter weg vom Jahnsportpark, die Spitzen der Flutlichtmasten aber immer noch in Sichtweite.

Union hatte sich in der ersten Saison 2008/2009 der neu gegründeten 3. Liga im März 2009 an der Tabellenspitze festgesetzt. Die Försterei wurde umgebaut, alles dauerte viel länger als geplant. Und so kam es, das aus einem kurzen Intermezzo einiger Spiele im Jahnsportpark eine komplette „Auswärtssaison“ wurde. An deren Ende stand der Meistertitel und der Aufstieg in Liga 2.

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Abpfiff des vorletzten Spieltages, dem letzten im Jahnsportpark – den Platzsturm, den Siegesjubel, den Adrenalinrausch, die sich entladenen Emotionen, die Purzelbäume auf dem Fußballrasen, die Schreie „Aufstieg“ und die ein oder andere Träne der emotionalen Überwältigung. Das war toll.



Und heute? Dieser Tage? Irgendwie fühlt es sich ein wenig ebenso an, wie damals im März, April, Mai 2009, als man langsam begann, die Saisonziele nicht mehr hinter vorgehaltener Hand versteckt zu sprechen. Ungläubig, und doch so hoffnungsvoll, so aufgeregt, wie man es als Kind vor Geburtstag oder Weihnachten ist, oder vor dem Aufbruch zu etwas ganz Besonderem.



Union macht gerade das 0:8. Es ist Pause, und Empor hatte so gar nichts dazuzusetzen. Der Klassenunterschied ist mehr als offensichtlich. Am Ende wird es ein 0:11.



Ja, nun könnte ich im letzten Absatz meines Berichtes schreiben, der Kreis um mein Erleben mit dem Jahnsportpark schließt sich nach rund 30 Jahren. Aber, damit enden meist Geschichten. Ich bin mit dem Jahnsportpark allerdings noch lange (so gott will) nicht fertig. In Kürze beginnt eine neue Saison der Medienliga, und dann schnüre ich meine eigenen Töppen, um wieder selbst Fußball zu spielen. Und vielleicht erfahre ich am Ende dieser 2017er Saison am eigenen Sportlerleib wie es ist, aus Liga 2 nach Liga 1 aufzusteigen.