„Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!“, sagte einst Andy Möller – „Berlin oder Toscana, unbedingt Fußball!, sage ich mir, um am Sonntag – fern der Heimat – doch ein Leder live rollen zu sehen.
Sportlich sicher erste Wahl in der Toscana „Fiorentina“ mit Neuerwerbung Mario Gomez. Ich entscheide mich aber für den AS Livorno, denn was ich im Vorfeld über Livorno lese, macht mich neugierig wie die Offerte in einer Online-Single-Börse; Sweety, hier lockt eine Affäre.
Livorno, 1929 nicht nur Gründungsmitglied der „Serie A“, ist die Wiege des Italienischen Kommunismus. 1921 wurde hier die Kommunistische Partei Italiens gegründet. Die Mitglieder der „Brigate Autonome Livornesi“, der größten Ultrà-Gruppierung des AS Livorno, sind bekennende Kommunisten und Antifaschisten, sowie Teil der „Resistenza Ultras“, die das Ziel hat, die zahlreichen faschistischen Ultras in Italien zu bekämpfen. Na wie angenehm!
Fahnen und Konterfeis rund um Länder und Führer des Altkommunismus gehören zum Stadionbild. So ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass ich bei der Online-Bestellung meines Tickets die „German Democratic Republic“ als Herkunftsland angeben kann. Naja, und spätestens als die gesamte „CURVA NORD“ geschlossen „Bella Ciao“ singt, habe ich mehr als eine Träne im Knopfloch. Da ist längst vergessen, dass der AS Livorno komplett in Weinrot spielt – Der Reihe nach:
Per Regio lasse ich mich von Campiglia Marittima ins 70km entfernte Livorno fahren. 2,5 Stunden vor Anpfiff komme ich dort an, und halte das für einen ausgezeichneten Vorlauf. Das mir dieser zusehens unter der Uhr wegschmelzen wird, kann ich auf dem Bahnhof noch nicht wissen. Ich laufe Richtung Stadion – bisschen Stadt ansehen nebenbei, denke ich – aber zu sehen gibt es recht wenig (Umgehungsstraßen), und da ist die erste Stunde schon futsch.
Fans sind in den Momenten meiner Wanderung nicht auszumachen. Der Erste, ein Ultra, läuft mir zwei Ecken vorm Stadion über den Weg. An seine Fersen hänge ich mich. Und da liegt es, das „Stadio Armando Picchi“ – eine voll abgeranzte Schüssel! Bröckelnde Fassaden, schmuddelig, punkig – ein Traum, einfach geil!! Das Personal am ersten Tor verweigert mir jedoch den Eintritt. Ich habe nur einen Ausdruck dabei, der in ein echtes Ticket getauscht werden muß – eine Odyssee beginnt, ich muß zur gegenüberliegenden Stadionseite, so verstehe ich. Einfach das Stadion umrunden, ist aber unmöglich.
Zu verwinkelt die Straßen rundum, zu hoch die Außenabsperrungen um die einzelnen Blöcke. Durch eine Nebenstraße gelange ich zum Hauptportal des Stadions. Das ist gut renoviert, aber nur über seine Breite. Ich mache ein Foto, da kommt schon ein Offizieller, und fragt mich nach meiner Akkreditierung. Ich bin Tourist, sage ich. Er zeigt in Richtung einer hohlen Gasse, durch die er mich jetzt gerne und schnell verschwinden sehen möchte. OK, also Fotos machen mag man hier nicht so sehr.
Nach einem weiteren Kilometer im ZickundZack, finde ich endlich den Container, in dem mein Ausdruck gegen ein offizielles Ticket getauscht wird. Noch 30 Minuten bis Anpfiff, und ganz gerührt halte ich einen Umschlag in der Hand, der mit meinem Namen in Handschrift versehen ist – Toll! – darin mein Ticket.
Die Schlange am eigentlichen Stadioneinlass ist nicht sehr lang – keine Leibesvisitation! So runtergekommen das Stadion, die Drehkreuze sind es nicht. Ohne Strichcode vom Ticket und den passenden Ausweis zum Namen auf dem Ticket geht hier nix, 100% personalisiert. Da bleibste draußen, bei der kleinsten Unstimmigkeit. Hochsicherheit wohl. Einen Espresso später (es gibt auch Bier, aber keine Bratwurst), sitze ich auf meinem Platz. 10 min. to go! Ich kann es immer noch nicht glauben hier zu sein – Augen reiben! Ca. 7.000 – 8.000 Zuschauer würde ich tippen, keine Anzeigetafel, sehr viele Kinder!
Eine überaus angenehme Damenstimme (Christina Arbeit?), verkündet die Heimaufstellung. Was bei uns das „Fußballgott“, ist hier ein einfaches „Hejjjj“ – ähnlich dem „Oleee“ beim Stierkampf. Auf der Bank bei Livorno: Jonny Ferney Mosquera. Na, klingt doch fast wie bei Union vor einiger Zeit. Es gibt auch eine Art Hymne, zu deren Inhalt ich aber keine Angaben machen kann.
Nun zum Spiel: Da kann ich nicht viel schreiben, zu sehr lenken mich die Dinge rechts und links ab. Na ist doch klar. Fakt ist: Ein sehr abwechlungsreiches Spiel – viele Offensivaktionen, kein Gemauer, gar nicht. Catania kommt besser aus den Startlöchern, macht aber nichts aus seinen vielen guten Möglichketen. Dann, ein Hoch und Runter zwischen Heim und Gast. Der Schiri wirkt fehl am Platze, ganz komisch irgendwie (Die Fans rundum nennen ihn „Bastardi“) – die Spieler protestieren natürlich typisch italienisch. Beim ersten Tor für Livorno (65. min – Paulinho) springe ich auf und schreie mir vor Freude, eine Faust in die Luft gestreckt, die Seele aus dem Leib. Ja, ne Affäre eben, oberflächlich zwar (es gibt nur Union), aber das ganz aufrichtig!! Rechts von mir brüllt einer „Pressa! Pressa!“ – nachlegen wohl. Seine Rufe werden erhört.
Livorno macht ein paar Minuten nach dem Ersten das Zweite (schöner Konter, 72. min, wieder Paulinho), und damit nahezu alles klar. In der 79. min dann noch ein leichter Hauch Fußballglamour – Catania bringt im letzten Aufgebot Maxi López. Meine „Spieler des Tages“ Auszeichnung geht allerdings an die Nr. 9 (Gonzalo Bergessio) von Catania. Sein Fallrückzieher kracht leider nur an den Querbalken (selbst die Livorner Fans klatschen). Geflankt bekam er das Ding von Sebastián Leto, der auf meinem Platz zwei der „Spieler des Tages“ landet (unglaublich präsent der Mann – dabei erst in der 67. min gekommen).
Die Weinrote Nordkurve singt von der Ersten bis zur 90. Minute. – Nein stimmt nicht, bis zur 96. Minute, denn es gibt ordentlich Nachspielzeit. Wofür, ist mir allerdings nicht 100%-ig klar. Nach 98. Minuten pfeift Herr Prokop endlich ab. Ganz wie bei uns, rennen die Heimspieler geschlossen zur „Waldseite“ – hier „Nordkurve“.
Eines ist mir allerdings negativ aufgefallen – es gibt bei Verletzung wohl kein Fair-Play. Liegt ein Spieler am Boden, wird trotzdem weitergespielt – selbst vom eigenen Team – absichtlich ins Aus spielen läuft nicht!
Das frühere „Stadio Edda Ciano Mussolini“ (Tochter Mussolinis) liegt bereits weit hinter mir, da schlägt mein Herz noch immer ganz aufgeregt, ob dieser Erlebnisse. Ich komme wieder – das ist mal sowas von fest versprochen, gelobe ich – und sende das raus als Einladung an alle Gockelz und Sympathisanten, mich hierhin zu begleiten.